27 Aug
2017
Tief im Westen
Duisburg ist ein Glücksfall. Das steht in großen Lettern auf einem extra für die Aktionstage angefertigten Glücksrad, an dem nicht nur Kinder drehen dürfen. Bürgermeister Volker Mosblech dankt in seinen Begrüßungsworten auf dem Gelände zwischen Synagoge und Innenhafen allen Bürgerinnen und Bürgern für die hervorragende Willkommenskultur in der Stadt.
Die Zahl der Menschen, die vor Krieg, Konflikten und Verfolgung fliehen, war noch nie so hoch wie heute. Ende 2016 waren 65,6 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht. Im Vergleich dazu waren es ein Jahr zuvor 65,3 Millionen Menschen, vor zehn Jahren 37,5 Millionen Menschen. Im zurückliegenden Jahr hat sich der Anstieg von Flucht und Vertreibung demnach verlangsamt. In jedem der letzten fünf Jahre stieg die globale Gesamtzahl jeweils in Millionenhöhe. (Quelle der Zahlen)
Etwa fünftausend Geflüchtete leben in Duisburg mitten im Ruhrgebiet, die Stadt, in der es auch über Parteigrenzen hinweg eine starke Kraft und ein hohes Selbstbewusstsein und den klaren Willen zur Integration gibt. Und es ist eine Stadt, in der bereits im letzten halben Jahrhundert viel Kraft und Energie in die Integration von zugereisten Gastarbeitern und deren Familien investiert wurde. Hier hat man viele gute Erfahrungen gesammelt und man sieht an vielen Ecken: Menschen verschiedenster Herkunft prägen das Stadtbild. Es gibt Stadtgebiete, da dominieren die türkischen und arabischen Geschäfte, neben der Trinkhalle gibt es Gebetshäuser und eine türkische Metzgerei, in der unter Berücksichtigung religiöser Regeln geschlachtet wird.
Thomas ist heute hier nach Duisburg gekommen, weil er einen Auftritt mit seiner Band hat. Er spielt Bass und er ist aufgeregt, weil er erst seit vier Wochen dabei ist. PEL, so heißt seine Band mit überwiegend kurdischen und syrischen Wurzeln, gibt es schon sehr viel länger. PEL spielen Indipop mit kurdischer Folklore und sind im Ruhrgebiet sehr populär. Für Thomas ist die Musik noch ungewöhnlich und neu aber er freut sich, zu diesem wunderbaren Anlass hier spielen zu können.
Duisburg ist die 10. Station und liegt am westlichsten Punkt unserer Tour kreuz und quer durch Deutschland. Die Al-hadj Djumaa mit den 80 Figuren von Jens Galschiøt liegt direkt im Innenhafen und hat sich auf dem Weg hierher den Rhein hinauf gekämpft. Der Innenhafen teilt das Schicksal anderer alter Stadthäfen. Hier werden schon seit vielen Jahren keine Waren mehr umgeschlagen. Weitaus größere Bedeutung hat dagegen der Binnenhafen. Er ist der größte seiner Art in Europa. Im Zusammenhang mit der Stahlproduktion aus den acht Duisburger Hochöfen erhielt Duisburg auch den Zweitnamen Stahlhauptstadt, über ein Drittel des in Deutschland produzierten Stahls kam hierher. Mit dem Rückgang dieser Entwicklung nach der Stahlkrise der 70er Jahre des ausgehenden Jahrhunderts wurden in Duisburg Potentiale für Entwicklung, Wissenschaft und Dienstleistung frei. Dieser Wandel ist an vielen Stellen spürbar. Mitten im Altstadtpark haben die Männer und Frauen von Outlaw sowie zahlreicher weiterer Organisationen und Helfer das Areal in eine kleine Oase im Grünen verwandelt. Sitzgelegenheiten laden zum Verweilen ein, an verschiedenen Ständen gibt es einen kleinen Imbiss und an der Bar in der Jurte werden köstliche Getränke angeboten.
Zahlreiche Infostände und Ausstellungswände bieten Informationen rund um das Thema Flucht und Migration, es gibt genügend Raum für Gespräche und Austausch. Ein langes Banner mit unzähligen Namen säumt den Weg, der am Gelände vorbeiführt. Hier befinden sich über 16.000 Namen von Menschen, die bei der Flucht gestorben sind. Eine unfassbar große Zahl. Passanten bleiben stehen, fragen und lesen schweigend die lange Liste.
Das Geschehen auf dem Gelände am Samstagnachmittag wurde kulturell maßgeblich von verschiedenen Chören und Ensembles unter Leitung von Annegret Keller-Stegmann bestimmt. Wir haben diesem Teil einen gesonderten BLOG-Beitrag gewidmet.
Mit Einbruch der Dunkelheit begann die Lesung „Ein Morgen vor Lampedusa“. Reichlich 100 Menschen lauschten der Geschichte rund um die Tragödie, die sich im Oktober 2013 vor der Mittelmeerinsel Lampedusa ereignete. Die gespendeten Gelder wurden an die Initiatoren von „Bathalo“ übergeben. Hierbei handelt es sich um ein Duisburger Projekt für Kinder aus Zuwanderungsfamilien.