Berlin calling

Berlin ist auch nicht mehr das, was es früher einmal war. Berlin ist bunt und grau, Berlin ist rot, schwarz und grün, es ist mehrsprachig und monoton und Berlin ist vor allen Dingen eins: es ist laut.

Am Anleger der Stern und Kreisschifffahrt Berlin – Photo by Sebi Berens

Mitten im Treptower Park, einem der größten Parkanlagen in der Berliner Innenstadt, haben wir unmittelbar am Anleger der Kreis und Sternschifffahrtgesell-

schaft festgemacht.

Einen Steinwurf entfernt fährt die S-Bahn und auf dem Wasser ist ein Verkehr, als wäre es die Themse in London. Etwas weiter östlich befindet sich das international bekannte und in der Zeit vor dem Mauerfall in Ostdeutschland zu Propagandazwecken missbrauchte Sowjetische Ehrenmal. In den vergangenen Jahren kam es rund um das geplante Lollapalooza-Festival zu teilweise heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Festivalmachern, Bürgern und Anwohnern aber auch den Abteilungen aus der Verwaltung.

Al-hadj Djumaa, auf der Spree am Reichstag – Photo by Sebi Berens

Vor dieser von der Geschichte gezeichneten Kulisse erlebt Berlin am letzten Wochenende im September ein ganz besonders bewegendes Projekt. Ein Schiff mit über 70 Kupferfiguren fährt direkt am Reichstag vorbei und legt im Treptower Hafen an.

Mit dem Schiff kam auf dem Landweg eine Jurte und eine kleine Rundbogenbühne an. In einer fantastischen und nachdenklichen Stimmung gab es zahlreiche Gespräche, Musik und Geschichten rund um das Thema Flucht und Migration zu hören, zu sehen und erleben. Die INGOMA-Trommelgruppe Berlin mit Musikern aus Burundi brachte am strahlenden Sonnabendmittag den Platz zum Beben. Die druckvollen Rhythmen waren bis weit in den Park hinein zu hören. Optisch waren die bunt gekleideten Musiker und Tänzer eine Augenweide, die Instrumente, bestehend aus mit Tierfellen bespannten, ausgehöhlten Baumstämmen brachten je 40 Kg auf die Waage. Sie wurden beim Einzug spielend auf den Köpfen getragen.

INGOMA Trommelgruppe Berlin – Photo by Sebi Berens

Am Vorabend fand zum letzten Mal im Projekt „Mit Sicherheit gut ankommen“ die szenische Lesung „Ein Morgen vor Lampedusa“ statt. Ergreifende Bilder und Originaltöne einer großen Schiffskatastrophe aus dem Jahr 2013 wurden von den Mitgliedern der Theatergruppe der Matthiaskirche aus Hannover vorgetragen. Antonio Umberto Riccó hat nach dem Unglück die Zitate zusammengetragen und arrangiert. An diesem Abend war Vito Fiorino zu Gast. Er ist einer der Augenzeugen der damaligen Rettungsaktion und hat mit seinem Schiff, der „Gamar“, vor der Küste Lampedusas 47 Menschen das Leben gerettet. Mit Tränen in den Augen steht er nach der Lesung in der vollbesetzten Jurte und bedankt sich.

Vito Fiorino und Antonio Umberto Riccó nach der letzten Lesung „Ein Morgen vor Lampedusa“ – Photo by Sebi Berens

Bei den vielen Menschen, die die Erinnerungen an die Tragödie wach halten und bei den Menschen, die auch heute noch gegen das Sterben im Mittelmeer kämpfen. Für ihn selber ist die Tragödie zwar verarbeitet, aber die Erinnerungen kommen immer wieder hoch – an solchen Abenden dann doppelt und dreifach stark.

Am Sonnabendnachmittag gab es in der Jurte einen bewegenden Live-Bericht von der Arbeit unseres Projektpartners SOS MEDITERANEE. Till Rummenhohl ist Student. Er hat ein Semester frei gemacht und sich an Bord der M/V AQUARIUS begeben. Im Mittelmeer war er an zahlreichen Rettungsmissionen beteiligt und hat mit seiner Crew viele Menschenleben gerettet. Er erzählt sehr authentisch und mit einfachen Worten seine Geschichte und die Fakten rund um die Rettungsaktivitäten. Till ist kein Mediziner aber er hat bereits ein Kind zur Welt gebracht. „In der Situation auf dem Meer liegen Sterben und Leben so eng beieinander“ sagt er auf Rückfragen aus dem Publikum und er führt weiter fort „Wir retten Menschen und wenn alle an Bord in Sicherheit sind, dann sind wir eben auch medizinisches Hilfspersonal und unterstützen die Kollegen von Ärzte ohne Grenzen.“ Larissa aus Dresden kommt mit einem sehr betroffenen Gesichtsausdruck nach dem Vortrag aus der Jurte. „Ich kann nicht mehr“, sagt sie leise und im Dämmerlicht rollt eine Träne über ihre Wange. „Warum geht es uns hier so gut? Warum sitzen wir hier in Ruhe in einem Zelt und hören die dramatischen Geschichten?“ sind Fragen, die sich Luft machen. In die gedämpfte Stimmung mischt sich ein taubes Gefühl, eine Art „Ohnmacht irgend etwas tun zu können“ sagt Larissa. Sie geht an diesem Abend mit vielen Fragen aber auch zahlreichen Erkenntnissen nach Hause: „Es sind doch Menschen, die da sterben!“

Gülina feat. Newcomer Youngsters – Foto: Tobias Heinemann
Fotos: Tobias Heinemann

Im einbrechenden Dunkel erleben wir auf der kleinen Bühne eine wunderbare Band mit Musikern aus zahlreichen Ländern. „Du kannst Syrisch, Französisch, Englisch mit uns sprechen oder auch Brasilianisch“ sagt Gülina lachend zu mir. Die junge Frau mit türkischen Wurzeln hat vor einigen Jahren begonnen, Musik mit Menschen aus aller Welt zu machen. „Musik verbindet und sie ist Ausdruck von Freiheit und Kreativität“ sagt Gülina und „Wir wollen zeigen, dass musikalischer Genuss geteilt werden kann, ohne die gleiche Sprache zu sprechen bzw. zu verstehen.“ Damit trägt die Band auf besondere und vor allen Dingen praktische Weise zu einem erfolgreichen Miteinander bei. Über ein Stunde präsentieren die Musiker unterschiedlichste Musikstücke aus eigener Feder. Die Besucher bleiben stehen, fangen an zu tanzen und tragen alle ein Lächeln in ihren Gesichtern.

Foto: Tobias Heinemann

Am Sonntag werden wir von feinem Nieselregen geweckt. Trotzdem bleiben bereits frühzeitig zahlreiche Parkbesucher stehen und schauen aufmerksam die Ausstellungen an. Am Nachmittag wird es trockener und auch wenn die Sonne noch auf sich warten lässt, zaubern zahlreiche Musiker und Tänzer im openstage-Format des GRIPS-Theaters im Programm „mensch willkommen!“ Wärme in die Herzen der Berliner. Manche haben zufällig vorbei geschaut und andere sind gezielt gekommen – zwischen syrischem Rap und türkischem Hardrock sticht ein Lied von Georg Danzer hervor. Silke Saalfrank trägt es mit starker Stimme und begleitet von ihrem Partner vor. Eine Textzeile fasst die Botschaft unseres Projektes auf einfache Weise kurz und knapp zusammen:

„Denn nur in Freiheit kann die Freiheit Freiheit sein…“

Mit Berlin, unserem letzten Standort auf der Reise, verabschieden wir uns. 65 Tage einer langen und bewegenden Reise gehen zu Ende. Wir bedanken uns bei allen, die uns den Rücken gestärkt und die uns bei den einen oder anderen Herausforderungen geholfen haben.

Wir wünschen den Berlinerinnen und Berlinern, den Neuangekommenen und denen, die seit vielen Jahren in der Stadt leben: lasst die Sonne und die Wärme in die Herzen und sprecht miteinander – dann kann Integration und ein Verständnis der Menschen untereinander gelingen. Und dann ist Berlin nicht nur laut, sondern kann auch die leisen Töne wunderbar zum Klingen bringen.

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